Quo vadis, Großbritannien? – In eine neblige Zukunft

Diskutierten im Heinz Nixdorf Museums-Forum über den Brexit (v.l.): Oliver Kleine, Dr. Marc Beise, Michael Dreier, Dr. Ralf Becker, Mike Elviss, Dr. Dirk Elbert, Tony Sims, Dr. Mathias Dubbert, Jürgen Behlke und Sabine Hartmann.

Paderborn. Rund ein Jahr ist vergangen, seitdem die Briten für einen Austritt aus der EU gestimmt haben. Zwei weitere Jahre haben sie nun Zeit, ebendiesen nachzuverhandeln, bis dahin soll das Brexit-Verfahren abgeschlossen sein. Doch wohin geht die Reise? Steht ein harter oder softer Brexit bevor – und was bedeuten diese Begriffe? Und vor allem: Wo steht OWLs Mittelstand dabei?

Um diese Fragen, um Zukunftsszenarien, konkrete Auswirkungen und Perspektiven ging es jetzt im Heinz Nixdorf Museums-Forum. Hierhin hatte die Industrie- und Handelskammer OWL gemeinsam mit der Volksbank Paderborn-Höxter-Detmold und der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO zum Vortrags- und Talkabend geladen, um Licht ins Dunkel der immer noch undurchsichtigen Brexit-Verhandlungen, besonders aber deren Folgen für die heimische Wirtschaft zu bringen.

Dieser fand im Rahmen der IHK-Begegnungswoche „Ostwestfalen meets Great Britain“ statt. Zu der Veranstaltung waren neben deutschen Experten, wie dem Referatsleiter EU-Politik der DIHK Brüssel Dr. Mathias Dubbert, auch zahlreiche britische Gäste wie Tony Sims von der britischen Botschaft Berlin oder dem Paderborner Infanteriegeneral Mike Elviss geladen.

Konsens an diesem Abend der Experten und Unternehmer: Die Unsicherheit ist auch ein Jahr nach dem Brexit-Referendum groß – und das führt zu wirtschaftlicher Zurückhaltung.

Durch den Abend führte der renommierte Journalist der Süddeutschen Zeitung, Dr. Marc Beise. Er versuchte, direkt zu Beginn der Veranstaltung den Gästen Mut zu machen und in die Zukunft zu blicken: „Heute ist man glücklicherweise in einer ganz anderen Stimmung, als noch vor einem Jahr.“ Der Leiter der Wirtschaftsredaktion der SZ fasste die Situation wie folgt zusammen: „Der Brexit schafft zwar wirtschaftliche Verluste, ist aber keine Gefahr für uns.“

Beruhigend wirkte auch die Analyse des Brüsseler Wirtschaftsvertreters Dr. Mathias Dubbert. Zwar gebe es wirtschaftliche Verluste, man spreche allerdings miteinander und suche nach Lösungen: „Die Unsicherheit, wie die künftigen Beziehungen aussehen, schafft vor allem Investitionszurückhaltungen. Aber der große Schock der ersten Tage ist genommen. Jetzt warten wir auf die Ergebnisse der Gespräche“, so der Vertreter des Dachverbands der Industrie- und Handelskammern.

Dass diese Verluste im Außenhandel besonders auch die ostwestfälischen Unternehmen fürchten, wurde in der Talkrunde mit den Unternehmern Dr. Ralf Becker, Oliver Kleine und Sabine Hartmann deutlich. Die Unternehmer zeigten sich besorgt: Auf die Frage, ob man in Zukunft denn Teile des Geschäftes auf Großbritannien konzentrieren werde, verneinten dies alle drei vehement.

Dieser Dynamik der Unsicherheit versuchte Paderborns Bürgermeister Michael Dreier zu begegnen. Er betonte die besonders enge Beziehung Paderborns mit Großbritannien und appellierte: „Die wirtschaftliche Zusammenarbeit muss unsere Beziehung weiter prägen. Für diese Veranstaltung bin ich deshalb besonders dankbar.“

Dieser Auffassung schloss sich der Diplomat Tony Sims an. Auch er unterstrich die besondere Beziehung OWLs und Großbritanniens – so flössen ein Drittel des britischen Fremdinvestments in die Region und in Firmen wie Bertelsmann und Miele.

Er sprach sich gerade in Anbetracht der noch unsicheren Verhandlungen dafür aus „alle Gesprächskanäle“ offen zu halten – „nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch die kulturellen, politischen und wissenschaftlichen“.

Auf konkrete Ergebnisse der Brexit-Verhandlungen dürfen alle Beteiligten erst in den nächsten Monaten hoffen. Die Gespräche zum Austrittsgesuch zwischen der EU und Großbritannien sind in der vergangenen Woche gestartet. Bis spätestens März 2019 sollen die Ergebnisse vorliegen.

Unter anderem diskutierten Dr. Dirk Elbert (v.l.) von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO, Unternehmerin Sabine Hartmann und Unternehmer Oliver Kleine über den zukünftigen Außenhandel mittelständischer Unternehmen.
Gemeinsam mit der Industrie- und Handelskammer OWL und der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO hatte die Volksbank Paderborn-Höxter-Detmold zum Vortrags- und Talkabend ins Heinz Nixdorf Museums-Forum geladen.

Brexit-Workshop mit Ökonom Dr. Jan Holthusen: „Ein softer Brexit ist die wahrscheinlichste Variante“

Dr. Jan Holthusen (l.) von der DZ Bank aus Frankfurt referierte gemeinsam mit seiner Kollegin Carina Leonhardt bereits am Nachmittag auf Einladung des Kompetenzzentrums "Internationales Geschäft" der Volksbank. Dessen Leiter Herbert Krüger (2.v.r.) begrüßte die Gäste gemeinsam mit Vorstand Dr. Friedrich Keine (r.) und Stephan Willhoff, dem Leiter Zins- und Währungsmanagement.

Dass die „Quo vadis“-Frage stellvertretend für die Zukunft des Banken- und Finanzsektors steht, dies beleuchtete auf besondere Einladung des Kompetenzzentrums „Internationales Geschäft“ der Volksbank Paderborn-Höxter-Detmold Dr. Jan Holthusen von der DZ Bank aus Frankfurt bei seinem Vortrag im Vorfeld des Abendprogramms. Die DZ Bank ist als Zentralinstitut für mehr als 1000 Kreditgenossenschaften zuständig – so auch für die Geschäfte der Volksbank.

Als besonderes Highlight berichtete der Chef-Analyst der Fixed Income Research Abteilung des Frankfurter Instituts bereits am Nachmittag über die konkreten Auswirkungen des knappen Wahlsiegs Theresa Mays auf Politik und Wirtschaft - der Wahl, die sie ohne eindeutiges Brexit-Mandat dastehen lässt. So war der Blick des Finanzexperten in die Glaskugel von besonderem Augenmerk auf die unmittelbaren Folgen auf Zinsen, Währungen und die Konjunktur in Deutschland und Europa. Denn ein britischer EU-Austritt wird unmittelbare Folgen für den Bankensektor haben – auch für das internationale Geschäft regionaler Banken wie der Volksbank Paderborn-Höxter-Detmold.

Noch liegt das Zentrum des europäischen Finanzsektors ins London. Dies dürfte sich bei einem britischen Ausstieg aus dem europäischen Binnenmarkt jedoch ändern, wird keine Sonderregelung für die Finanzgeschäfte gefunden. In Anbetracht des derzeit doch hart geführten Verhandlungskurses der EU „könnte dies ein gutes Vorzeichen für das deutsche Finanzzentrum Frankfurt sein“, beschreibt Holthusen die Ausgangslage. Denn ungeachtet der Brexit-Variante, ob hart oder soft, muss Großbritannien in der Zollunion bleiben, um am Binnenmarkt teilhaben zu können. Dies gilt für Waren, wie für Dienstleistungen – also auch Finanzprodukte.

Bei seinem spannenden Vortrag malte Holthusen ein bedingt optimistisches Bild, denn noch sei die Situation mit Großbritannien alles andere, als geklärt. Stolpersteine seien die Aufkündigung der Freizügigkeit, der drohende Steuerwettbewerb und die Brexit-Kosten, die die EU den Briten gerne in Rechnung stellen würde. „Zur Verhandlung haben alle Parteien die schwersten Geschütze aufgefahren und der Streit ums Geld fängt gerade erst an“, so beschreibt Holthusen das Spielfeld der Verhandlungen.

Zwei Szenarien sind nach seiner Analyse fast auszuschließen: Die Möglichkeiten, dass Großbritannien in der EU verbleibe oder nach dem Brexit all seine Mitgliedsprivilegien behalte. Diese seien „höchst unwahrscheinlich. Zu groß wäre der Gesichtsverlust, um der anderen Partei gänzlich nachzugeben, sowohl auf britischer, als auch europäischer Seite.“

„Es wird zum Brexit kommen“, da ist der Ökonom sich sicher, „die Frage ist nur, in welcher Form.“

Zum einen wäre da der harte Brexit – ein EU-Ausstieg ohne Nachverhandlung, ohne gegenseitige Zugeständnisse, ohne Übergangsregelungen.

Dies würde im Nachfassen einen „regelrechten Rosenkrieg bedeuten“, so Holthusen und meint damit den angekündigten Steuerwettbewerb, den die britische Regierung schon als Druckmittel ins Spiel gebracht hatte. Ein Szenario, das von Holthusen mit einer Wahrscheinlichkeit von 30 Prozent bewertet, durchaus denkbar sei, schließlich pocht Theresa May nach wie vor auf ihren Grundsatz „no deal ist better than a bad deal.“

Hierunter würden zwar Deutschland und die EU leiden – so ist Großbritannien zweitgrößte Volkswirtschaft und Nettoeinzahler des EU-Haushalts – dennoch wäre ein harter Brexit für Großbritannien ein „regelrechtes Katastrophenszenario und ein konjunkturelles Desaster“, prognostiziert Holthusen den Blick in die wirtschaftlichen Kennzahlen der nächsten Jahre – zu groß wären die Verluste an den Kapitalmärkten, zu hoch die Inflation und die konjunkturellen Einbußen durch Zölle.

Viel wahrscheinlicher seiner Annahme nach: ein softer Brexit. Eine Situation also, in der in beidseitigen Zugeständnissen, einen Übergang und ein Miteinander für die Zukunft geschaffen wird. Gerade im Hinblick auf die volkswirtschaftlichen Auswirkungen ist sich Holthusen sicher: „Man wird sich einigen. In Zukunft werden wir Regelungen für den freien Arbeits- und Warenverkehr schaffen. Bei Banklizensierungen allerdings wird die EU jedoch keine Zugeständnisse machen.“

Dies könnte weitreichende Konsequenzen in sich tragen: Nach einem Austritt brauchen die noch in London ansässigen Finanzinstitute eine eigene Gesellschaft mit Lizenz in einem EU-Land, um ihre Produkte und Dienstleistungen in den verbleibenden 27 Mitgliedsstaaten vertreiben zu dürfen. Nun verlegen die ersten ausländischen Banken Mitarbeiter in die EU – auch die europäische Bankenaufsicht wird einen neuen Standort brauchen und hier kommt vor allem Frankfurt ins Spiel.

Sicher ist sich Holthusen aber, dass sich der Brexit negativ auf die Wirtschaft aller Beteiligten auswirken werde. „Die Frage ist nur, wie groß die Auswirkungen tatsächlich sind“, so resümierte Holthusen seine Prognosen. Ebenfalls ist er überzeugt: „Der Zeitplan von zwei Jahren wird wohl kaum ausreichen. Dafür ist die Situation auch heute noch zu diffus.“

Für die Mittelständler in der Region sieht er im Handel mit den Briten weiterhin gute Chancen. So spüre man gerade in kleinen und mittelständischen Unternehmen, wie es sie in OWL reichlich gibt, von der Angst des Handelskrieges noch wenig. Gerade aber die Entscheidung, auch in Zukunft auf den Produktions- und Absatzmarkt Großbritanniens zu setzen, werde von Unsicherheit getrübt, das zeigen an diesem Nachmittag auch die Nachfragen der Unternehmer aus dem Publikum.

 

28. Juni 2017