Eine andere Sicht auf das Leben

Engagieren sich für die Bahnhofsmission: Kristijan Tonic und Estha Goerigk.

Seit 2014 besteht zwischen der VerbundVolksbank OWL und der Bahnhofsmission Paderborn eine ungewöhnliche Kooperation: Auszubildende der Volksbank haben die Möglichkeit, freiwillig eine Woche in der gemeinnützigen Institution zu hospitieren. Die Nachfrage bei den jungen Menschen ist groß, denn was sie dort lernen, kann man sich in keinem Fachbuch anlesen.

Sorgfältig verteilt Estha Goerigk die Butter auf den beiden Brötchenhälften, die sie anschließend mit Käse belegt und auf einem Teller drapiert. Sie füllt noch einen Becher mit Kaffee, gibt einen Schluck Milch dazu und trägt dann alles hinüber zu dem jungen Mann, der an einem der Tische im Aufenthaltsraum der Bahnhofsmission sitzt. Der Mann hat Hunger, das weiß die 19-Jährige , deshalb arbeitet sie zügig. Er hat Hunger, wie so ziemlich alle der etwa 12.000 Gäste, die das kleine Häuschen der Bahnhofsmission am Bahnsteig 1 des Paderborner Hauptbahnhofs  jedes Jahr besuchen. Geöffnet ist die Bahnhofsmission täglich, auch am Wochenende und an den meisten Feiertagen.

„Ich habe mich für das Projekt gemeldet, weil ich es toll fand, dass mein Arbeitgeber mir die Möglichkeit gibt, in eine ehrenamtliche Tätigkeit hineinzuschnuppern“, erinnert sich Goerigk. Sie hospitierte im vergangenen Jahr in der Bahnhofsmission, eine Woche lang, täglich von 8 bis 17 Uhr. Sie schmierte Brote und servierte Essen, half Menschen mit und ohne Behinderungen, sich auf dem Bahnsteig zurechtzufinden, in und aus den Zügen zu kommen, den richtigen Zug zu erwischen. „Oft hat es auch schon geholfen, wenn man einfach nur mit den Menschen geredet hat“, sagt sie und fügt hinzu: „Ich wollte einfach wissen, wie hier gearbeitet wird. Das kannte ich so vorher nicht, diese andere Seite des Lebens.“

Die Sicht auf das eigene Leben und das Leben von anderen Menschen zu verändern, das ist bei allen der knapp 50 Auszubildenden der Volksbank, die bislang in der Bahnhofsmission hospitierten, eine Triebfeder und Motivation für ihre Bewerbung. Vor allem deshalb, weil die Gegensätzlichkeit zwischen einer Bank und einer Bahnhofsmission nicht so groß ist, wie ein Außenstehender vielleicht meinen mag. Denn als regionale Genossenschaftsbank liegt es von jeher im Selbstverständnis der VerbundVolksbank, sich für die Region und die Menschen zu engagieren. „Außerdem arbeiten wir ja auch nah am Menschen. Und manche der Gäste, die in die Bahnhofsmission kommen, haben natürlich auch ein Konto bei uns“, weiß der 20-jährige Marcel Stein zu berichten. Auch er hat in der Bahnhofsmission gearbeitet. „Nun kenne ich viele Probleme hinter diesen Gesichtern, hinter der Armut. Und ich trete den Menschen am Schalter mit einer ganz anderen Offenheit gegenüber. Ich kann ihnen dann vielleicht nicht mehr Geld geben. Aber ich kann sie mit mehr Respekt behandeln.“ Das sehen auch Lukas Otten und Lara Schäpe so. Der 24-Jährige und die 21-Jährige waren im vergangenen Jahr in der Bahnhofsmission im Einsatz und zeigen sich noch immer tief beeindruckt von den Begegnungen dort. „Während dieser einen Woche hatte ich wirklich Zeit, mich mit den Menschen und ihren Problemen zu beschäftigen. Und ich habe schnell gemerkt, dass die Probleme sehr vielfältig sind und nicht so einfach gelöst werden können. Man kann schnell in Armut abrutschen“, sagt Lara Schäpe. Und Lukas Otten ergänzt: „Seither nehme ich mein Leben und das, was ich habe, nicht mehr als Selbstverständlichkeit wahr, ich habe gelernt, es mehr zu schätzen.“

Diese Erkenntnis hat auch Kristijan Tonic, der als einer der ersten Auszubildenden an dem Projekt teilnahm, nach seiner Hospitation geprägt. „Wenn ich jetzt die Menschen sehe, die auf der Straße leben, dann gehe ich nicht mehr einfach gedankenlos vorbei. Denn ich weiß, dass dies jedem passieren kann, ich kenne die Geschichten dahinter.“ Der 24-Jährige hat sein ehrenamtliches Engagement deshalb auch nach der Hospitation in der Bahnhofsmission fortgesetzt und ist Vorbild für viele. Seinem Beispiel folgten neben Estha Goerigk weitere Auszubildende.

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